Nahrungsmittel und Nazareth

11März2018

Schon früh bildet sich heute morgen auf dem Reali Schulhof eine mittelgroße Menschentraube. Selbst die Kaffemaschine im Hotel ist erst auf den dritten Klick hin bereit, ihren Dienst zu tun. Lieber Leser, liebe Leserin, bitte beachte, dass heute Sonntag ist und dass deutsche Schüler an diesem Tag normalerweise an alles mögliche denken, aber nicht daran, zur Schule zu gehen. Dennoch besteigen alle fast pünktlich den knallgelben Bus, der einen etwa 20 Kilometer nordöstlich liegenden Molkereibetrieb ansteuern soll. Von da aus sei es nicht mehr weit bis Nazareth, verkündet Kollege Yehuda.

Die Berichte vom Wochenende in den Familien sind so vielfältig wie das Leben selbst. Während zwei Krefelder Damen quer durchs Land gefahren wurden, um an einer Bar Mitzvah und an einem Geburtstag teilzunehmen, haben andere schon die komplette Palette der Sehenswürdigkeiten in Israels Nordbezirk abgearbeitet. Eine weitere Gruppe ließ es ruhig angehen, war mal am Strand gucken, war im Kino, lag auf der Couch und machte einen Schnatz (= eine längere Mittagspause, während der sich die ganze Familie aufs Ohr haut) oder hat im Garten gesessen und gegessen. Wohlgenährt und zufrieden sind die beiden Adjektive, die dem unvoreingenommenen Betrachter in den Sinn kommen, wenn er sich diese Gruppe junger Menschen besieht.

 

In den gelben Bus steigen am Ende fast ausschließlich die deutschen Schülerinnen und Schüler, denn das Erziehungsministerium hat den verpflichtenden Erste-Hilfe-Kurs für die elfte Klasse just auf den heutigen Tag gelegt. Somit sind die Gastgeber kurzfristig verhindert.

Die Firma Strauss Industries ist heute also erstes Ziel. Sie bedient unter anderem fast den kompletten Bedarf der Nation an Joghurts, Puddings, Trinkschokoladen und Streichkäse. Das berühmteste Produkt ist ein Schokopudding namens "Milky". Dieses ziemlich unscheinbare Dessert hat es 2014 auf die Titelseiten der internationalen Presse geschafft - nicht, weil es so lecker ist, sondern weil die Nation festgestellt hatte, dass dieser Schokobecher mit exakt denselben Zutaten in Deutschland 19 Cent kostet, in Israel aber umgerechnet 49 Cent. Was dann geschah kann man HIER (Klick) nachlesen.

Alle diese Produkte werden an dem Standort hergestellt, vor dem die Krefelder Delegation erwartungsvoll versammelt ist. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Strauss der weltgrößte Hummus-Produzent ist und auch noch in allen möglichen anderen Branchen tätig ist. Frau Strauss ist als Chefin einer der reichsten Personen in Israel.

Strauss ist eine klassische deutsch-israelische Erfolgsstory. Ein vor den Nazis geflohener Schwabe und seine kochbegeisterte Frau entdecken in den 1940ern im damaligen Palästina eine Marktlücke, nämlich Frischmilch, und kommen nach dem Ende des Zweiten Weltrieges damit groß raus.

Etwas später ist der Image-Film über die Firma zu sehen und danach gehts endlich los: Verkostung ist angesagt. Auf einem Fließband marschieren Fläschchen und Puddingbecher an der Besuchergruppe vorbei. Manches schmeckt etwas künstlich, anderes aber besser. Das Lustigste kommt aber jetzt noch. Ohne Schutzkleidung kein Zutritt zur Produktion...

Minuten danach sammeln sich gut 25 Gestalten mit schicken roten Mützchen und weißen Overalls vor dem Eingang zur Betriebshalle. Die Mützchen entsprächen nicht dem neuesten Trend und seien auch sonst irgendwie der Schönheit abträglich, lassen drei hier nicht näher benannte BMMG Oberstüflerinnen die Reiseleitung wissen.

Aber auch die wir-sind-schön-ihr-seid-es-nicht Fraktion muss unter die rote Haube und so betreten die astronautenähnlich gekleideten Fliegenpilze die wenig spektakuläre Halle.

Mit vollem Puddingbauch lässt sich die anschließende Fahrt nach Nazareth auch aushalten.

Ngan Ha ist unsere Expertin für Nazareth. Kurz berichtet sie, was es zu sehen gibt. Und das ist auch bitter nötig, denn dieser Ort ist zwar eines der wichtigsten christlichen Pilgerziele, aber warum die Menschen hierher kommen, ist den Bischöflichen nicht ganz klar. Aufklärungsarbeit wird betrieben und dann geht es hinein in die  Verkündigungsbasilika und an die Stelle, wo das Haus von Josef und Maria gestanden hat. Ruinen sind sogar noch zu sehen. Vorher hatte die Gruppe schon einen Blick in die Synagogenkirche geworfen. Hier hat Jesus nachweislich gebetet. Sicherheitshalber erwähnen unsere Religionsexperten noch einmal, dass Jesus schliesslich auch Jude war. Hören wir da ein erstauntes "ach ja?"

 

 

Darüber hinaus bietet Nazareth wenige Attraktionen. Im Gegenteil: die vermüllten Straßen und die Bauruinen, dazu der mörderische Verkehr mitten durch die Stadt - all das lässt die Delegation schnell wieder in den Bus steigen.

Um halb drei steht der Bus schon wieder vor der Reali School; da sind die Plaene fuer den Nachmittag schon laengst gemacht. Eine groessere Gruppe aus israelischen und deutschen Delegationsteilnehmern schickt sich an, die oeffentlichen Verkehrsmittel zu testen und fährt zum Bahnhof, um von dort aus weiter ins 50 km entfernte Tel Aviv zu fahren. Klingt nach Stadtbesichtigung, nach der "White City" und ihren inzwischen teilweise  restaurierten Bauhaus-Gebaeuden, nach dem Itzhak Rabin Memorial und den schoenen Parks. Es endete dann aber doch wie so oft in einer Shopping Mall irgendwo vor den Toren der Stadt.